GH URTEIL I ZR 166/08 – Photodynamische Therapie vom 24.6.2010
Ein Funktionsarzneimittel statt eines Medizinsprodukts liegt auch dann vor, wenn (nur) die Nebenwirkungen dies belegen: Bei der im jeweiligen Einzelfall zu treffenden Entscheidung, ob ein Erzeugnis ein (Funktions-)Arzneimittel oder ein Medizinprodukt ist, sind neben seinen un-mittelbaren Wirkungen auch seine Neben- und Folgewirkungen zu berücksichti-gen und führen diese, soweit sie auf immunologischem, metabolischem oder pharmakologischem Gebiet liegen, zu seiner Einordnung als Arzneimittel.
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-lung vom 24. Juni 2010 durch die Richter …
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesge-richts Hamm vom 11. September 2008 wird auf Kosten der Beklag-ten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
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Die Beklagte zu 1, deren Alleingesellschafter der Beklagte zu 2 ist, stellt das insbesondere in der Krebstherapie eingesetzte Mittel P. her und vertreibt es als Medizinprodukt im Rahmen der photodynamischen Therapie zur Bekämpfung von bestimmten Tumoren. Das Mittel wird dazu zunächst in einer Salzlösung gelöst und sodann intravenös in den Körper des Patienten einge-führt. Durch Ausbreitung im Körper gelangt es auch in das Tumorgewebe. Dort wird es angereichert und überträgt bei der Rückkehr von einem durch Laserlicht bewirkten angeregten Zustand in seinen Grundzustand Energie von dem Laser-licht auf den in den Zellen gelösten Sauerstoff. Der sogenannte Singulettsauer-stoff, der aus den infolge der Energieerhöhung veränderten Sauerstoffmolekü-len gebildet wird, führt dann zu einer Schädigung der Mitochondrien in den Zel-len. Dies bewirkt letztlich deren Absterben, wobei der genaue Ablauf im Einzel-nen nicht geklärt ist. Das Mittel der Beklagten verändert sich im Verlauf der Be-handlung dagegen nicht und wird deshalb vom Körper unverändert ausge-schieden oder abgebaut.
Am 31. Juli 2001 bot der dabei namens der Beklagten zu 1 handelnde Beklagte zu 2 das Mittel P. mit einem Schreiben, das im nachfolgend wiedergegebenen Tenor des landgerichtlichen Urteils abgebildet ist, dem Kran-kenhausapotheker G. an.
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Die Klägerin zu 1 vertreibt das von ihr bei der Klägerin zu 2 bezogene und in Deutschland als Arzneimittel zur Behandlung von bestimmten Tumoren zugelassene Mittel Ph. , das mit derselben Therapie arbeitet wie das Mittel P. .
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Die von den Klägerinnen, die das Mittel der Beklagten für ein nicht zuge-lassenes Arzneimittel halten, deswegen erhobene Klage auf Unterlassung, Schadensersatz und Auskunftserteilung hat im ersten Rechtszug im vollen Um-fang und im Berufungsverfahren, in dem die Klägerinnen das erstinstanzliche Urteil zum Teil nicht verteidigt haben, insoweit Erfolg gehabt, als die Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel verurteilt worden sind,
es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken
a) nicht zugelassene Arzneimittel, insbesondere das Arzneimittel P. , zu Zwecken interner Studien, zu Zwecken von Therapieversuchen und/oder als Chemikalie zum Verkauf vorrätig zu halten, anzubieten, feilzuhalten
und/oder
b) in der Werbung für nicht zugelassene Arzneimittel zu behaupten und/oder behaupten zu lassen,
aa) dem Vertrieb nicht zugelassener Arzneimittel für interne Studien und/oder Therapieversuche stehe nichts im Wege und/oder arzneimit-telrechtlich nichts im Wege,
und/oder
bb) dem Vertrieb nicht zugelassener Arzneimittel als Chemikalie stehe nichts im Wege und/oder arzneimittelrechtlich nichts im Wege;
und/oder
cc) zum anderen gebe es für Apotheken die Möglichkeit, das Präparat P. als Chemikalie zu beziehen und an die Kliniker weiter- zugeben;
insbesondere, wenn dies in folgender Form geschieht:
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Die Beklagten sind weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt worden, den Klägerinnen sämtlichen aus den vorbezeichneten Handlungen entstandenen und/oder künftig entstehenden Schaden zu ersetzen sowie nach Kalendervier-teljahren und Adressaten aufgeschlüsselte Auskunft über diese Handlungen zu erteilen.
Die Beklagten haben gegen das Berufungsurteil ein als Nichtzulassungs-beschwerde bezeichnetes Rechtsmittel eingelegt. Nach ihnen – nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision – erteiltem Hinweis, dass das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, haben sie geltend gemacht, dass das von ihnen eingelegte Rechtsmittel als Revision anzusehen sei, und diese innerhalb der verlängerten Frist begründet. Die Klägerinnen beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen, das sie im Übrigen auch schon für unzulässig halten.
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Entscheidungsgründe:
I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist das Mittel P. ein Arz- neimittel, das ohne entsprechende Zulassung nicht verkehrsfähig ist und des-sen Vertrieb und Bewerbung durch die Beklagten daher rechts- und wettbe-werbswidrig ist. Das Mittel habe bei seiner Verwendung im Rahmen der photo-dynamischen Therapie eine pharmakologische Wirkung, weil es im Rahmen einer vom gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. so bezeichneten untrennbaren Wirkkaskade dazu bestimmt sei, im menschlichen Körper zur Be-einflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu wer-den. Es weise aber auch eine Dosis-Wirkungsbeziehung auf, die nach der eu-
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ropäischen Leitlinie zur Einstufung und Abgrenzung von Arzneimitteln und Me-dizinprodukten stark dafür spreche, dass es sich um ein Arzneimittel handele. Selbst wenn im Hinblick auf seine nur mittelbare pharmakologische Wirkung noch Zweifel an der Einordnung des Mittels verblieben, wäre P. zumin- dest nach der Zweifelsfallregelung des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel als Arznei-mittel anzusehen. Das Vertrauen, das durch die nach Abmahnung und Klage-erhebung am 6. Februar 2002 im Haus des Landesamtes für Gesundheit und Arbeitssicherung Schleswig-Holstein (LAGA; im Folgenden: Landesamt) durch-geführte Besprechung bei den Beklagten möglicherweise entstanden sei, sei jedenfalls nach Kenntnis der Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM; im Folgenden: Bundesinstitut) vom 28. April 2003 nicht mehr gegeben gewesen.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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1. Der von den Beklagten innerhalb der Frist zur Einlegung der Revision eingereichte, als Nichtzulassungsbeschwerdeschrift bezeichnete Schriftsatz vom 29. Oktober 2008 ist bei einer die beteiligten Interessen angemessen be-rücksichtigenden Auslegung als Revisionsschrift zu verstehen, die auch die in-soweit bestehenden weiteren formellen Erfordernisse erfüllt.
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a) Prozesshandlungen sind zwar keine rechtsgeschäftlichen Willenserklä-rungen, aber grundsätzlich entsprechend den für diese geltenden Regeln aus-legungsfähig. Die Auslegung darf daher auch im Prozessrecht nicht am buch-stäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern muss den wirklichen Willen der Parteien erforschen. Im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Anspruch auf
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effektiven Rechtsschutz und auf das Recht auf Gehör ist im Zweifel als gewollt anzusehen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der erklärenden Partei entspricht (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – XI ZB 15/09, NJW-RR 2010, 275 Tz. 9; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., vor § 128 Rdn. 248, jeweils m.w.N.). Das Verständnis der abgegebenen Erklärung wird dabei allerdings nur insoweit durch die tat-sächlichen Interessen der erklärenden Partei bestimmt, als sich diese aus den äußerlich in Erscheinung tretenden Umständen ersehen lassen. Maßgebend ist daher unter Berücksichtigung der durch die gewollte Formulierung gezogenen Auslegungsgrenzen der objektiv zum Ausdruck gebrachte Wille des Erklären-den (BGH NJW-RR 2010, 275 Tz. 9 m.w.N.). Dabei sind alle Nebenumstände mit zu würdigen, die den Empfängern – im zweiseitigen Verfahren also sowohl dem Gericht als auch dem Prozessgegner – bekannt waren oder sein mussten. Bei fristgebundenen Prozesserklärungen, wie sie insbesondere bei der Einle-gung und Begründung von Rechtsmitteln abzugeben sind, können allerdings nur diejenigen Umstände berücksichtigt werden, die für die Empfänger inner-halb der Frist erkennbar waren (vgl. BGH, Beschl. v. 10.10.2006 – XI ZB 14/06, NJW-RR 2007, 413 Tz. 8; Beschl. v. 12.1.2010 – VIII ZB 64/09, juris Tz. 5; Stein/Jonas/Leipold aaO vor § 128 Rdn. 247, jeweils m.w.N.).
b) Nach diesen Grundsätzen ist bei der Auslegung des Schriftsatzes vom 29. Oktober 2008, mit dem die Beklagten innerhalb der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Berufungsurteil Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt ha-ben, das dem Revisionsgericht zusammen mit diesem Schriftsatz vorgelegte und den Klägerinnen bereits zuvor durch das Berufungsgericht zugestellte Be-rufungsurteil mit zu berücksichtigen. Der Umstand, dass die Beklagten den mit dem Schriftsatz vom 29. Oktober 2008 eingelegten Rechtsbehelf als „Nichtzu-lassungsbeschwerde“ bezeichnet haben, ließ sich danach nur damit erklären,
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dass ihre Prozessbevollmächtigten die – allerdings bereits im Tenor des Beru-fungsurteils ausgesprochene und in den Gründen der Entscheidung auch be-gründete – Zulassung der Revision entweder gänzlich übersehen oder – was näher liegt – beim Abfassen des Schriftsatzes aus dem Blick verloren hatten. Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ließ zudem hinreichend deutlich erkennen, dass die Beklagten die Entscheidung des Berufungsgerichts zum einen nicht hinnehmen wollten und zum anderen als aus rechtlichen Gründen mit der Nichtzulassungsbeschwerde – und damit auch und erst recht mit der Revision – anfechtbar ansahen.
2. Die danach zulässige Revision der Beklagten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob die vom Berufungsgericht vorge-nommene und für die weitere Beurteilung der Sache entscheidende Einordnung des Mittels P. als (Funktions-)Arzneimittel schon deshalb richtig ist, weil das Bundesinstitut dieses Mittel in seinem Schreiben vom 28. April 2003 ent-sprechend eingeordnet hat. Sie erweist sich jedenfalls deshalb als rechtsfehler-frei, weil das Berufungsgericht mit Recht nicht die bei der Anwendung des Mit-tels der Beklagten allerdings auf physikalischem Gebiet liegende primäre Wir-kung, sondern die dadurch ausgelöste, auf pharmakologischem Gebiet liegende weitere Wirkung des Mittels als dessen bestimmungsgemäße Hauptwirkung angesehen hat (dazu unten unter II 2 a). Damit sind sowohl die mit der Klage geltend gemachten Unterlassungsansprüche (dazu unten unter II 2 b und c) als auch die Folgeansprüche auf Schadensersatz und Auskunftserteilung begrün-det (dazu unten unter II 2 d).
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a) Das Berufungsgericht hat die Frage, ob das Präparat der Beklagten ein mangels Zulassung verkehrsunfähiges (Funktions-)Arzneimittel ist, mit Recht bejaht.
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aa) Stoffe sowie Stoffzubereitungen sind dann Funktionsarzneimittel, wenn sie im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beein-flussen oder aber eine medizinische Diagnose zu erstellen (vgl. Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskode-xes für Humanarzneimittel; § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG). Medizinprodukte und damit keine Arzneimittel sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die vom Herstel-ler zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke der Er-kennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankhei-ten zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunolo-gisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird (Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte; § 3 Nr. 1 Buchst. a MPG; § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG). Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen sind daher Medizinprodukte, wenn ihre bestimmungsgemäße Hauptwirkung nicht auf pharmakologischem, sondern auf physikalischem Gebiet liegt. Dies gilt auch dann, wenn ihre Wirkungsweise durch pharmakologisch oder immunologisch oder metabolisch wirkende Mittel unterstützt wird (§ 3 Nr. 1 a.E. MPG).
bb) Das Berufungsgericht hat mit Recht nicht die bei der Anwendung des Mittels der Beklagten auf physikalischem Gebiet liegende primäre Wirkung, sondern die dadurch ausgelöste, auf pharmakologischem Gebiet liegende wei-tere Wirkung des Mittels als dessen bestimmungsgemäße Hauptwirkung ange-sehen.
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(1) Dafür, dass es sich bei der nach dieser Bestimmung für die Abgren-zung zwischen Medizinprodukten und Arzneimitteln maßgeblichen Wirkungs-weise nicht allein um die unmittelbare Wirkung des Mittels entweder auf phar-makologischem, immunologischem oder metabolischem Gebiet oder aber auf anderen Gebieten handeln kann, spricht zunächst einmal, dass nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG und § 3 Nr. 1 a.E. MPG, mit dem diese Richtlinienbestimmung in das deutsche Recht umgesetzt worden ist, ein Medizinprodukt auch dann vorliegt, wenn die bestimmungsgemäße Hauptwir-kung mit Unterstützung von Mitteln erreicht wird, die pharmakologisch und/oder immunologisch und/oder metabolisch wirken und als solche daher keine Medi-zinprodukte sind. Denn diese Regelung setzt voraus, dass die bestimmungs-gemäße Hauptwirkung nicht notwendigerweise allein und/oder unmittelbar durch das Medizinprodukt erreicht werden muss.
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(2) Die so genannte MEDDEV-Borderline-Leitlinie, die eine europäische Expertengruppe aus Behörden- und Industrievertretern unter Federführung der Kommission der Europäischen Union zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten entwickelt hat und die deshalb auch zur Konkretisierung des Begriffs der pharmakologischen Wirkung mit heranzuziehen ist, versteht hierun-ter eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Sub-stanz und einem zellulären Bestandteil (Rezeptor), die entweder in einer direk-ten Reaktion (Antwort) resultiert oder die Reaktion (Antwort) eines anderen Agens blockiert. Die Leitlinie setzt daher keine unmittelbare Wechselwirkung mit „zellulären Bestandteilen des Anwenders“ voraus, sondern lässt jegliche Wech-selwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und „ei-nem zellulären Bestandteil“ genügen (vgl. Dettling/Koppe-Zagouras, PharmR 2010, 152, 158).
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(3) Dass eine Sichtweise, die allein die unmittelbare Wirkung des Er-zeugnisses berücksichtigt, zu kurz greift, wird zudem durch die Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung bestätigt. Danach gilt diese Richtlinie in Zwei-felsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigen-schaften sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Defini-tion eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist. Diese Regelung führt zwar nicht dazu, dass die Anforderungen für eine Einordnung des Produkts als Arzneimittel abgesenkt werden. Die Vorrangregelung für das Arzneimittelrecht kommt vielmehr nur dann zur Anwendung, wenn die Arzneimitteleigenschaft des Produkts festge-stellt ist; denn andernfalls würden die strengeren Vorschriften des Arzneimittel-regimes auf Sachverhalte erstreckt und der freie Warenverkehr damit behindert, ohne dass hierfür eine ausreichende Rechtfertigung aus Gründen des Gesund-heitsschutzes vorliegen würde (vgl. EuGH, Urt. v. 15.1.2009 – C-140/07, Slg. 2009, I-41 = GRUR 2009, 511 Tz. 23 ff. – Hecht-Pharma/Gewerbeaufsichts-amt Lüneburg; Urt. v. 5.3.2009 – C-88/07, Slg. 2009, I-1353 = ZLR 2009, 321 Tz. 79 – Kommission/Königreich Spanien). Die Regelung des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG stellt aber klar, dass bei der im jeweiligen Einzelfall zu treffenden Entscheidung, ob ein Erzeugnis ein Funktionsarzneimittel ist, alle seine Eigenschaften zu berücksichtigen sind. Aus diesem Grund sind in Grenz-fällen insbesondere auch seine Neben- und Folgewirkungen in Rechnung zu stellen und führen diese, soweit sie auf immunologischem oder metabolischem oder – wie hier – pharmakologischem Gebiet liegen, zu seiner Einordnung als Funktionsarzneimittel (vgl. Gröning, Heilmittelwerberecht, 2. Ergänzungsliefe-rung Oktober 2005, RL 2001/83/EG Art. 2 Rdn. 6).
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b) Da es sich bei dem Mittel der Beklagten P. danach um ein Arz- neimittel handelt, war allein das Bundesinstitut für Entscheidungen und Aus-künfte hinsichtlich seiner Zulassungspflicht zuständig (BGH, Urt. v. 2.10.2002 – I ZR 177/00, GRUR 2003, 162 f. = WRP 2003, 72 – Progona). Die Beklagten handelten deshalb auch insoweit wettbewerbswidrig im Sinne von § 1 UWG a.F., §§ 3, 4 Nr. 11 UWG 2004 i.V. mit § 21 Abs. 1 AMG, als sie auf die Richtig-keit der ihnen vom Landesamt erteilten günstigen Auskünfte vertrauten (vgl. BGHZ 163, 265, 270 – Atemtest; BGH, Urt. v. 20.10.2005 – I ZR 10/03, GRUR 2006, 82 Tz. 21 = WRP 2006, 79 – Betonstahl; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 4 Rdn. 11.18 und 11.54; MünchKomm.UWG/Schaffert, § 4 Nr. 11 Rdn. 39). Dasselbe gilt, soweit die M. GmbH als Benannte Stelle i.S. von § 3 Nr. 20 AMG am 5. Juli 2002 bescheinigt hat, dass das Produkt P. die Anforderungen des Anhangs III und mit bestimmten Herstell-Los- Nummern auch die Anforderungen des Anhangs IV der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte erfüllte (a.A. Deutsch in Deutsch/Lippert/Ratzel, MPG, § 3 Rdn. 13).
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c) Der danach gemäß § 1 UWG a.F., § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 UWG 2004 be-gründete Unterlassungsanspruch ist auch nicht durch die UWG-Novelle 2008 in Fortfall gekommen, mit der die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Ge-schäftspraktiken in das deutsche Recht umgesetzt worden ist. Diese Richtlinie hat nach ihrem Art. 3 Abs. 3 die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Be-zug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt ge-lassen (vgl. BGH, Urt. v. 15.1.2009 – I ZR 141/06, GRUR 2009, 881 Tz. 16 = WRP 2009, 1089 – Überregionaler Krankentransport; BGHZ 180, 355 Tz. 34 – Festbetragsfestsetzung).
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d) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beurteilung der Folgean-sprüche der Klägerinnen auf Schadensersatz und Auskunftserteilung wird als solche von der Revision nicht angegriffen und lässt ebenfalls keinen Rechtsfeh-ler erkennen. Da das Landesamt für die abschließende Beurteilung der Frage, ob das Mittel der Beklagten ein Arzneimittel ist oder nicht, nicht zuständig war, durften diese auf die Richtigkeit der ihnen vom Landesamt insoweit erteilten Auskünfte nicht vertrauen und handelten daher fahrlässig, soweit sie ihr Mittel im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Auskünfte in den Verkehr brachten (vgl. BGHZ 163, 265, 271 – Atemtest).
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III. Nach allem ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Vorinstanzen:
LG Münster, Entscheidung vom 29.01.2008 – 25 O 25/02 –
OLG Hamm, Entscheidung vom 11.09.2008 – I-4 U 55/08 –